Erfassen der Arbeitszeit

Inhaltsverzeichnis

Beim Thema Erfassen der Arbeitszeit erfassen geht es im Folgenden um folgende Fragen:
Besteht für Arbeitgeber eine Pflicht, die Arbeitszeit der Mitarbeiter zu erfassen? Wenn ja, wie muss die Erfassung erfolgen? Hat der Betriebsrat beim Erfassen der Arbeitszeit ein Mitbestimmungsrecht?
⇒ Als Einstieg folgender Fall
Ein Betriebsrat verlangte vom Arbeitgeber, eine Betriebsvereinbarung über die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung abzuschließen. Der Arbeitgeber lehnte das Ansinnen ab. Daraufhin klagte der Betriebsrat; er beantragte beim Arbeitsgericht festzustellen, dass er für die initiative Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ein Mitbestimmungsrecht habe.
Der Streit ging über 3 Instanzen: Vor dem Arbeitsgericht (ArbG) verlor der Betriebsrat den Prozess, das Landesarbeitsbericht (LAG) urteilte dagegen im Sinne des Betriebsrates. In der 3. Instanz hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden, der Betriebsrat verlor den Prozess.
⇒ Hintergründe zum besseren Verständnis
• Allgemein zu Mitbestimmungsrechten eines Betriebsrates
Mitbestimmungsrechte sind überwiegend im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt, § 87 BetrVG. Wenn der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hat, bedeutet dies entweder, dass er „nur“ darüber mitbestimmen kann, wie ein bestimmtes Thema im Unternehmen umgesetzt wird, oder er kann auch darüber mitbestimmen, ob ein bestimmtes Thema im Unternehmen überhaupt ein Thema sein soll.
So gibt es zwar beispielsweise für eine Kantine ein Mitbestimmungsrecht bei der Form, Ausgestaltung und Verwaltung – wie -, aber der Betriebsrat kann nicht verlangen, dass der Arbeitgeber eine Kantine eröffnet – ob -. Kann ein Betriebsrat auch über das Ob mitbestimmen, spricht man von einem Initiativrecht.
Zudem steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nur dann zu, wenn ein Thema nicht bereits vollständig durch ein Gesetz oder einen Tarifvertrag (TV) geregelt ist.
Ein praktisches Beispiel dazu, dass ein Thema bereits vollständig in einem TV geregelt ist, unter
> Fahrtzeit Arbeitszeit
Allgemein zur der Frage, wann TV´e gelten, vgl. > Arbeitsvertrag: Inhalte, Beendigung, Arten
• Zum Einfluss des europäischen Arbeitsrechts auf deutsches Arbeitsrecht
In der europäischen Gemeinschaft gibt es umfangreiche arbeitsrechtliche Richtlinien (RL EG). Diese Richtlinien sind für die Regierungen und Gerichte der Mitgliedsländer verbindlich, sie überlagern nationale Gesetze. Der europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet, ob Mitgliedsländer Richtlinien einhalten, und er entscheidet über das richtige Verständnis einer Richtlinie.
So hat der EuGH bereits 2019 entschieden, dass die Mitgliedsländer gesetzliche Regelungen für die Messung der gesamten Arbeitszeit schaffen müssen. Bei uns gibt es zur Messung der Arbeitszeit den § 16 Absatz 2 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG); danach ist die Arbeitszeit zu messen, die über 8 Stunden täglich hinausgeht.
⇒ Die Entscheidung
Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und urteilte wie das ArbG.
Es stellte aber zunächst zugunsten des Betriebsrates fest, dass dieser ein Mitbestimmungsrecht bei der Arbeitszeiterfassung hat. Arbeitgeber sind verpflichtet, die gesamte Arbeitszeit zu erfassen, und diese Verpflichtung ist nicht bereits vollständig durch ein Gesetz geregelt. Das ArbZG regelt zwar „nur“ die Erfassung der Arbeitszeit, die über 8 Stunden täglich hinausgeht; aber das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet darüber hinaus Arbeitgeber zu Maßnahmen des Arbeitsschutzes für Sicherheit und Gesundheit aller Beschäftigten, und dazu gehört auch das vollständige Erfassen der Arbeitszeit. Der Betriebsrat hat deshalb ein Mitbestimmungsrecht sowohl über das Ob einer Arbeitszeiterfassung als auch über das Wie.
Der Betriebsrat hat dennoch den Prozess verloren, weil er ausdrücklich ein Mitbestimmungsrecht für eine elektronische Zeiterfassung eingeklagt hatte. Aber weder der EuGH noch das ArbSchG verlangen, dass eine Zeiterfassung nur elektronisch erfolgen kann bzw. darf!
⇒ Konsequenzen
Die Entscheidung lässt jede Form einer Arbeitszeiterfassung und damit insbesondere auch pragmatisch schlanke Lösungen zu. So ist es beispielsweise auch zulässig, das Erfassen der Arbeitszeit durch eine Selbstaufschreibung der Mitarbeiter zu organisieren. Damit können auch für eine Vertrauensarbeitszeit oder für die Arbeit im Homeoffice praxisorientierte Erfassungsmethoden entwickelt werden.
Weil aber nunmehr das BAG aus dem ArbSchG eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit abgeleitet hat, ist diesen auch bei schlanken Lösungen zu empfehlen, jedenfalls Plausibilitätschecks in der Ablauforganisation der Arbeitszeiterfassung vorzusehen.
Der Gesetzgeber plant eine konkretere Gesetzgebung zum Thema Arbeitszeiterfassung, der Zeithorizont dafür ist offen. Ob die pragmatischen Optionen der BAG-Entscheidung dabei eine Chance haben, bleibt abzuwarten. Ein Referentenentwurf eines Gesetzes spricht jedenfalls insoweit nicht dafür, als dort unter Artikel 1 eine elektronische Zeiterfassung vorgesehen ist,
vgl. – PDF Datei! – Entwurf Arbeitszeitgesetze Stand Juni 2023
Es bleibt zu hoffen, dass das endgültige Gesetz Spielräume für pragmatische Lösungen lässt sowie Arbeitgeber und Mitarbeiter nicht zwingt, auf eine vertrauensbasierte Zusammenarbeit zu verzichten.